Pinnow, 17.11.2023 (lifePR) – Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo Schwalbitz liegt? Und was dort nun schon vor einer langen Zeit passiert war? Nein? Dann kann das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters Abhilfe schaffen, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 17.11. 23 – Freitag, 24.11. 23) zu haben sind. In ihrem erstmals 1967 erschienenen Kinderbuch „Die Geburtstagsstraße“ erzählen Hildegard und Siegfried Schumacher eben aus jenem Schwalbitz: Ulli und Jane sind beleidigt. Niemand will ihre Hilfe: nicht auf dem Kartoffelacker und nicht im Rinderstall. Das ist nichts für Knirpse aus der dritten Klasse, meinen die Erwachsenen. Wenn die Meier-Line die beiden nicht auf eine gute Idee gebracht und Opa Annersrüm nicht ein bisschen mitgeholfen hätte, dann wäre es sicherlich schiefgegangen mit dem Geburtstagsgeschenk. Flüssig, spannend und humorvoll erzählen die Autoren die Geschichte aus dem Dorf Schwalbitz. Das lag irgendwo in der DDR. Und die Geschichte spielt, als es in den Dörfern noch eine LPG „Frohe Zukunft“ und den Beruf des Agronomen gab.
Im fünften Teil seiner Zeitreisenden-Saga lässt Hardy Manthey Aphrodite, so der Name der schönen Reisenden, einen Sklavenaufstand erleben und zum Glück für sie und ihre Kinder auch überleben. Allerdings kommen sie während der Unruhen in große Gefahr. Können Aphrodites Schönheit und Klugheit helfen?
34 sympathische Kurzgeschichten bietet „Die ungewöhnliche Brautfahrt und andere Geschichten“ von Jan Flieger. Und schon bei der ersten liest man sich fest und merkt sich den Namen Dzimbulla: „Denken Sie nicht, ich hätte sie mir ausgedacht, diese Geschichte, weil es keine Märchen gäbe in unserer Zeit. Sie ist wahr, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. Ich beginne also mit der Flasche …
Die Flasche treibt im Strom, mit einem Tuch, einem weißen, das jemand um ihren Hals geschlungen hat. Immer wenn ein Boot vorbeigleitet, schaukelt die Flasche, und es sieht aus, als winke sie mit dem Tuch. Das Winken sieht man erst, wenn die Wellen kommen, aber dann gleitet das Boot schon vorbei.
Dzimbulla sieht das weiße Tuch und auch die Flasche, als ihn ein Motorboot überholt und er dem Winken nun entgegenstampft auf seinem Schubschiff, das gekoppelt fährt mit zwei Prahmen voller Kohle.“ So fängt sie an, diese spannende Flaschenpost-Geschichte. Und schon jetzt sollte man sich den Namen Dzimbulla merken.
Zu einem Ausflug nach Frankreich laden Helga Kaffke (Aquarelle) und Gabriele Berthel (Texte) mit „VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“ ein. Es sind wunderbare Bilder und wunderbare Geschichten und – ein Gesamtkunstwerk. Frankreich war die erste Wahlheimat der beiden Künstlerinnen, als sie Ende des vergangenen Jahrhunderts aus Schwerin wegzogen. Später fanden sie nach der Jahrtausendwende an der nordwestlichen Küste von Irland, in Mayo, ein zweites neues Zuhause. Dort ist Helga Kaffke 2017 gestorben. Ein Jahr vor ihrem Tod entstand „VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Heute geht es um den Vietnam-Krieg und seine Folgen.
Dazu stehen heute zwei Gedichtbände in einem E-Book von Helmut Preißler im Angebot, die EDITION digital 2012 herausgebracht hat: Erstmals 1984 war im Verlag Neues Leben Berlin „Lotoskerne“ erschienen. Zwei Jahre später erschien erstmals im Kinderbuchverlag Berlin „Der Traum im Bambushaus“: Als Helmut Preißler Vietnam kennenlernte, war der Krieg der USA-Aggressoren beendet. Er erlebte ein Land, dem unvorstellbares Leid widerfahren war und das einen mutigen Aufbruch wagte.
Im Alltag stieß er immer wieder auf die finsteren Spuren, die der Krieg hinterlassen hatte – Bombentrichter, verseuchte Erde, zerstörte Häuser, die schmerzliche Erinnerung an die Toten.
Aber er sah auch die wieder mit Radfahrern belebten Straßen Hanois, die grünenden Reisfelder, das Kind, das seine Aufgaben auf dem Rücken des Büffels schreibt, erfuhr die Zuversicht und Kraft der Menschen, die wiedererstehende Schönheit des Landes.
„Der Traum im Bambushaus“ ist ein Kinderbuch, das Preißlers Begeisterung für das ferne Land und seine Menschen Kinder und Erwachsene in einer wunderschönen Geschichte nacherleben lässt.
Überzeugen Sie sich selbst:
AUF DEM WEGE ZUM MARKT
An langer Bambusstange
die Reisstrohschalen:
Zentnerlasten,
ausgewogen auf schmaler Schulter,
geschleppt auf schmächtigem Leib,
auf den nackten Sohlen,
die Haut hart
wie gegerbtes Leder.
Die Beine pendeln
im Rhythmus der Schalen.
Die Schalen schwingen
im Rhythmus der Schritte.
Schneller
treiben die federnden Lasten
den Träger.
LOBLIED ALF DEN BAMBUS
Was wäre der Bauer
ohne den Bambus?
Er hätte kein Haus
und fürs Kind keine Wiege,
nicht Korb und nicht Schalen,
nicht das federnde Tragholz.
Wie schwer wären Lasten,
wär der Bambus nicht leicht,
wie zerbrechlich das Haus,
war der Bambus nicht biegsam.
Und die Brücke gäb’s nicht,
die verlässliche, grüne,
nicht die Rute zum Angeln,
nicht das sichere Boot.
Und es flösse kein Wasser
in das Dorf, in die Krüge,
gäb’s die Leitungen nicht
aus gespaltenem Bambus.
Und der Mensch wüsste nichts
von dem Zauber der Flöte,
von belebenden Düften
der Wasserpfeife.
Und viel schwerer würde
unsrer Erde das Atmen,
und dem Himmel fehlte
das zärtliche Grün…
Was wäre die Erde
ohne den Bambus?
DAS DRITTE KIND SPRICHT:
Ich hab dir Bambussprösslinge gebracht.
Wo dir das Land gefällt, da setz sie ein!
Schon in acht Wochen wird die grüne Pracht
so hoch wie ringsumher die Palmen sein.
Aus Bambusstangen baut man sich ein Haus
und Tisch und Stuhl und vor dem Haus die Bank,
die Wasserleitung, macht ein Boot daraus,
die Angel auch. – Dein ganzes Leben lang
gibt dir der Bambus, was du brauchst zum Bau
der Dinge, die dir nützlich sind im Leben,
und lichtes Grün, ist mal der Himmel grau,
und auch die Flöte, sollt’s mal Kummer geben.
Das Kinderbuch „Die Geburtstagsstraße“ von Hildegard und Siegfried Schumacher erschien erstmals 1967 im Kinderbuchverlag Berlin. Lesen Sie bitte einen Auszug:
Ulli und Jane suchen darunter wie alle anderen. Sie haben es nicht so schrecklich eilig, Opa in der Werkstatt zu besuchen. Sie brauchen Holz, wollen aber nicht danach fragen, denn die Großen sind komische Leute. Genau weiß man nie, was sie tun werden. Ganz langsam drückt Ulli die Nusshäuser zwischen den Handflächen kaputt. Und ebenso langsam pult Jane die gelben Knabberkerne heraus. Bis zur Straße ist das Kreischen der Kreissäge zu hören.
Als Ulli und Jane endlich in die Werkstatttür gucken, besäumt Opa Annersrüm Bretter. Er ist mit feinen Sägeflocken beschneit. Auf seiner blauen Schirmmütze liegt eine dicke Schicht. Er bemerkt Ulli und Jane nicht. Die Säge schreit zu laut. Außerdem passt Opa scharf auf. Er peilt durch die Brille, die ihm auf der Nasenspitze sitzt, die Schnittkante entlang. Er will kein Brett verschneiden. Und seine Augen sind nicht mehr die jüngsten.
Nur gut, dass Opa so in der Arbeit steckt! Ulli kann alles ungestört mustern. Seine Blicke gehen spazieren. Wo ist ein brauchbares Brett? Da am Schrank, dieses rechteckige! Ja, nicht zu groß und nicht zu klein. Ulli stupst Jane an und deutet darauf. Sogar blank gehobelt ist es. Aber um dahin zu kommen, muss er an Opa Annersrüm vorbei. Sechs Bretter hat der noch zu besäumen. Dann arbeitet er sicher an der Hobelmaschine, und Ulli hat hinter Opas Rücken freie Bahn. Er hat also Zeit, aber das Herz bubbert ihm schon mächtig. Soll er nicht lieber fragen? Und wenn Opa ihn auslacht? Nein, nein, er muss es so besorgen.
Das letzte Mal frisst sich die Säge durch das Holz.
„Du musst ihn ablenken“, flüstert Ulli.
Jane nickt.
Opa tritt von der Maschine zurück und schaltet sie aus. Die Säge hört auf, ihr schrilles Lied zu singen. Er freut sich, als er Ulli und Jane sieht. „Guck einer an, Besuch! Was bringt ihr Schönes?“
„Och, nichts, nein, wirklich nichts. Wir wollten nur mal sehen, wie’s dir geht, Opa.“
„Na, es geht so. Und jetzt wird gehobelt.“ Er lädt sich fast den ganzen Bretterstapel auf und stellt ihn bei der Hobelmaschine ab. Ulli und Jane tragen den Rest. Opa klackt den Anlasshebel um. Die Maschine beginnt zu brummen. „Bleibt hinter mir!“, sagt er und schiebt das erste Brett zwischen die Walzenmesser. Sie spucken kleingeraspelte Späne aus.
Jane findet die langen Locken viel schöner, die sich aus dem Handhobel ringeln. Aber die Maschine leckt die Bretter auch spiegelglatt, und sie schafft viel mehr. Wie ein Pferd könnte Opa mit dem Hobel schuften, am Ende bliebe die Maschine doch Sieger. Hier braucht er nur den Schalter anzuknipsen, ihr tüchtig Futter vorzusetzen und hat dabei ein leichteres Leben.
Opa achtet nicht auf Jane und Ulli, hat nur Augen für seine Arbeit. Jetzt ist der Augenblick günstig. Es muss sein!
Vorsichtig schleicht Ulli rückwärts, bis er den Rücken gegen den Schrank lehnen kann, knickt in den Knien ein und angelt nach hinten. Er packt das Brettstück, hält es auf dem Rücken versteckt. Leise, Schritt um Schritt, verdrückt er sich zur Tür hin. Seine Hände schwitzen. Es ist gemein, was er tut. Hat nicht Opa Annersrüm den Nussbaum für die Kinder gerettet? Dürfen sie nicht in seine Werkstatt kommen, ohne dass er sie wegschickt? Aber … Er ist genau und sparsam mit dem Holz … Er gibt das Brettchen nicht … Es könnte doch sein! Was dann? Sie brauchen das Brett dringend, sehr dringend. Besser, es verschwindet ungesehen. Sicher ist sicher.
Gleich hat Ulli die Tür erreicht. Brandfix wird er die Beute in den Garten retten. Doch da wendet Opa den Kopf, sieht nur Jane, die sich vor Schreck auf den Mund klopft, und sucht Ulli. Der steht starr wie ein Zaunpfosten an der Tür, presst die Hände gegen den Rücken. Einen Puterkopf hat er bekommen.
Opa lässt die Brille noch weiter auf die Nasenspitze rutschen. Er sieht darüber hinweg von Ulli zu Jane und von Jane zu Ulli. Und beide lassen den Kopf hängen wie Sonnenblumen nach dem ersten Frost.
Klack. Die Maschine brummt aus. Nur die Messerwelle saust noch ein Weilchen um ihre eigne Achse. Ihr Pfeifen wird leiser und leiser. Sie bleibt stehen. In der Werkstatt ist kein Mucks zu hören.
Ulli und Jane spüren, dass Opa sie anguckt. Aber sie trauen sich nicht, die Augen vom Fußboden zu heben. Leise, fast behutsam fragt Opa: „Na?“
Am liebsten würde Ulli klein werden wie Däumling und in ein Mausloch schlüpfen.
„Annersrüm, Jung.“
Ulli wird kalkweiß. Er dreht sich um. Seine Knie schlackern. Er drückt das Brettchen immer noch gegen seinen Rücken. Nur jetzt leuchtet es Opa entgegen.
„Stibitzen wolltet ihr.“
Der fünfte Teil der Zeitreisenden-Saga. Der Sklavenausfstand von Hardy Manthey erschien erstmal 2012 als E-Book bei EDITION digital. Ein kleiner Auszug aus dem spannenden E-Book:
Was jetzt im Zimmer geschieht, kann sie nur noch erahnen. Mit dem Schwert wird auf das Bett eingehauen. Die Gestalt keucht erschöpft bei jedem Hieb. Dann hört sie lange nur noch den schweren Atem der Person. Die Gestalt geht und schleift das Schwert kraftlos hinter sich her. Die Tür fällt zu.
Der Spuk ist so schnell vorbei, wie er begann.
Es ist viel Zeit vergangen. Aphrodite traut sich endlich zu schauen, was dort auf dem Bett eigentlich geschehen ist. Es ist immer noch sehr dunkel. Doch was das schwache Licht des Mondes zeigt, erschreckt Aphrodite dann doch. Sie sieht eine völlig zerfetzte Bettdecke. Ihre Unart, wegen der Hitze der Sommernächte Kissen und Bettdecken beim Liegen zusammenzuknüllen und nicht als Zudecke zu nutzen, hat im Dunklen bei dem Betrachter den Eindruck hinterlassen, dass dort jemand liegen würde.
Hätte sie dort tatsächlich gelegen, wäre sie nicht nur tot, sondern Hackfleisch. Ihre Widersacherin vergeudet wirklich keine Zeit. Sie ist wie jede Frau, konsequent und berechnend. Dumm ist diese Frau ganz bestimmt nicht. Nur dass es auf Aphrodites Kosten gehen soll, macht sie ihr zutiefst unsympathisch.
An die Wand hinter dem Samtvorhang gekauert, verbringt sie schlaflos den Rest der Nacht.
„Die ungewöhnliche Brautfahrt und andere Geschichten“ von Jan Flieger erschien erstmals 1983 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig.
Hier ein Auszug:
Die Frau hat das Mädchen in die Ehe mitgebracht.
Das Mädchen isst weiter, und wenn sie nach unten sieht, verdecken die Haare ihre Augen. Der Mann mag das nicht, der Mann mag vieles nicht, aber er schweigt, schweigt, kaut und trinkt den Tee.
»Es ist nie gut, wenn man einem Jungen nachläuft«, sagt die Frau wieder.
Das Mädchen schweigt, und die Augen der Frau werden hart. Ich habe vergessen, das Radio anzudrehen, denkt der Mann. Er lässt die Frau reden, er mischt sich nicht ein. Für Jungen ist ihm das Mädchen noch zu jung, aber er sagt nichts, er sagt überhaupt nichts mehr, die Frau erzieht allein, weil der Mann nicht das harte Braun mag in den Augen der Frau, das immer kommt, wenn er etwas über die Tochter sagt. Nun schweigt er, und die Frau ist auch nicht zufrieden. Der Mann zieht sich an seinen Schreibtisch zurück, denn wegen der Sitzungen schafft er vieles nicht im Betrieb, abends hat er Zeit, ihn stört auch nicht der Fernseher, der im gleichen Zimmer läuft.
Am besten kam der Mann mit dem Mädchen aus, als die Frau im Krankenhaus lag, in dem einen Jahr zweimal und lange. Das Mädchen machte die Wohnung sauber, was sie sonst nie tat, wusch ab und bereitete das Abendbrot für den Mann und für sich, und der Mann ließ sie fernsehen, auch wenn sie Schule hatte am nächsten Tag, saß am Schreibtisch, der am Fenster stand, und arbeitete. Als die Frau zurückkam, war alles vorbei, zwischen ihm und dem Mädchen stand eine Wand. Die Frau achtete auf jedes Wort, das der Mann sagte, wenn es die Tochter betraf. Das tut sie immer; wenn der Mann etwas sagt, sieht die Tochter die Mutter an.
»Du brauchst deine Mutter nicht so zu behandeln«, sagt die Frau. Das Mädchen schweigt, sieht nicht hoch. Manchmal hasst sie ihre Mutter, manchmal liebt sie sie, aber meistens ist sie ihr zu nervös. Das Mädchen kennt sich nicht mehr aus in ihren Gefühlen, aber Jungen mag sie am liebsten, besonders die ruhigen, Klaus ist so. Er ist ein Bastler, und sein Zimmer steht voll fremdartiger Geräte, die das Mädchen nicht kennt, nur die Radios. Sein Vater bringt die Teile aus dem Betrieb mit. Der letzte Junge wollte nur das eine, das Mädchen will es noch nicht. Der letzte Junge ging in die zehnte Klasse. Klaus geht in die neunte. Er küsst nicht so richtig, aber dem Mädchen gefällt er, auch seine Eltern gefallen ihr, sie streiten nicht, jedenfalls nicht vor ihr. Schüchterne Jungen mögen viele Mädchen nicht aus ihrer Klasse, aber das Mädchen mag Klaus. Er hat einen Hamster und eine Schildkröte, die immer unterwegs ist in seinem Zimmer und auf dem Flur. Eltern komplizieren alles, besonders die Mütter.
Das Mädchen nimmt den Schinken, eine riesige Scheibe, und der Mann runzelt die Stirn.
Die Frau sucht immer den Ausgleich zwischen dem Mädchen und dem Mann, deshalb ist sie ganz wach, nimmt jedes Wort auf, auch die Blicke. Der Mann blickt oft unbeteiligt, aber die Frau ahnt, was er denkt. Die Frau beobachtet das Mädchen und den Mann, beide wollen sich zurückziehen wie Schnecken in ihre Häuser, aber die Frau ist wachsam, sie lässt es nicht zu, und wenn sie sie an den Hörnern herausziehen muss. Dem Mann folgt sie bis zum Schreibtisch, aber er sitzt da, sitzt vor seinen Zahlen, die die Frau nicht begreifen kann, vor großen Bögen voller Zahlen. Der Mann winkt ab, das Mädchen kann nicht abwinken, die Frau folgt ihr in das Kinderzimmer, bleibt einfach drin und redet. Das Mädchen kann sich nicht an ihren Tisch zurückziehen, die Frau hat eine lockere Hand, sie hat Angst, dass sie die Tochter verliert. Sie weiß nicht, wie sie es richtig machen soll. Die Tochter soll ihr alles sagen, sie tut es auch, aber die Frau misstraut ihr. Wie dem Mann. Die Frau misstraut allen, sie ist vorsichtig, sie will nicht überrascht werden, von keiner Sache. Wenn ein Kind kommt, hat der Mann gesagt, ziehe ich aus. Wenn Besuch kommt, sitzt er nur und schweigt. Den Besuch lädt die Frau ein, immer, weil sie kontaktfreudig ist, vielleicht macht es auch ihre Arbeit, sie lernt viele kennen. Ihr Mann ist da anders, er braucht wenig Freunde, nur ein Ehepaar. Die Frau liebt den Trubel, viele Gäste, sie erzählt gern, selbst wenn der Mann spricht, redet sie hinein, verbessert ihn, erzählt selbst weiter. Nun schweigt der Mann.
»Ich rede noch mit dir«, sagt die Frau und blickt die Tochter fest an. .
»Ich laufe ihm nicht nach«, sagt die Tochter, »kann ich morgen ins Kino?«
»Erst nach dem Abwasch«, sagt die Frau, »und nach der Wohnung.«
Das Mädchen stöhnt und stößt die Luft aus. Die Frau sieht den Mann an, aber der sieht auf seinen Teller, zerlegt die Schnitte in viele Einzelstücke. Das mag die Frau nicht, sie runzelt die Stirn, aber sie versucht gar nicht erst, den Mann zu verbessern, es wäre zwecklos, der Mann macht, was er will.
VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“ von Helga Kaffke (Aquarelle) und Gabriele Berthel (Texte) erschien 2016 bei EDITION digital, Pinnow.
In der Kunstszene von Schwerin waren ihre Namen so bekannt wie das Staatstheater, das Museum oder das Schloss dieser Stadt – Helga Kaffke, Malerin, Gabriele Berthel, Autorin.
Das war in der letzten Hälfte des gewesenen Jahrhunderts. In den Kulturnachrichten der jetzigen Landeshauptstadt spielen ihre Namen keine Rolle. – Beide Künstlerinnen leben seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr in Deutschland. Sie suchten ihren Lebensmittelpunkt zunächst in Frankreich und fanden ihn seit der Jahrtausendwende an der nordwestlichen Küste von Irland, in Mayo. Dort wurden sie sesshaft, heirateten, arbeiteten.
Die Malerin Helga Kaffke ist im Winter 2017 gestorben. Ein Jahr vor ihrem Tod entstand das vorliegende Buch „ROUEN en miniature“, Aquarelle Helga Kaffke, Texte Gabriele Berthel. Erinnerungen der Künstlerinnen an ihre Zeit in der Wahlheimat Frankreich. – Helga Kaffke beweist mit den Altstadtbildern wieder einmal ihre große Meisterschaft im Aquarell. Mit Stoffstühlchen und Malblock, mit Farbkasten und Wasserglas sitzt sie in der Rue des bons entfants und malt – Balkone mit Begonien, Häuserfassaden, schwarze Vögel im durchsonnten Laub, eine alte Turmuhr. Altstadtmilieu. Wir können es hören und riechen. –
Die wunderbaren Geschichten von Gabriele Berthel begleiten ihre Bilder. Sie erzählen vom Clochard, der durchs Motiv schlappt und als Farbklecks unsterblich wird. Oder von Wassili Wassiljewitsch, dem letzten sibirischen Tiger aus Pappmaché auf dem Podest des Kinderkarussells, der dem zärtlichen Musettewalzer entflieht, weil ihn die Taigasehnsucht packt …
Je vous demande beaucoup – versäumen Sie es nicht, mit den beiden Künstlerinnen durch die französische Altstadt zu wandeln!
Und hier eine Leseprobe.
VALSE MUSETTE
Die Fliehkraft ist es, die ihn forttreibt: er hat es lange geahnt, er hätte es keinem erklären können, aber jetzt weiß er Bescheid. Ein geduldiger Vater hat es seinem Sohn erklärt, am Rand des Karussells, und er, Wassil Wassiljewitsch, der Unvergleichliche, der womöglich letzte sibirische Tiger aus Pappmaché, hat genau zugehört: wenn die Fliehkraft zu groß wird, sprengt sie den Kreis, und was sich darin befindet, verlässt den vorgegebenen Zirkel, das ist ein Naturgesetz. Ihn trifft also keine Schuld. Er muss es tun, und vor allem gleich, es ist die beste, und es ist, für heute, die letzte Gelegenheit. Noch trinkt Jean-Robert, der Besitzer des Fahrgeschäftes, seinen täglichen Vormittagskaffee, er sitzt mit dem Rücken zum Bistrofenster, und sein Pferdeschwanz wippt im Fensterglas, Wassil Wassiljewitsch kann das genau beobachten. Bevor Jean-Robert ins Bistro ging, hat er die rot-weiß gestreifte Plastikplane vom Karussell entfernt, damit seine Tiere aufwachen, damit sie sich ans Tageslicht gewöhnen. Tagsüber wohnt Jean-Robert in einem winzigen Schilderhäuschen, keine zwei Meter entfernt von seiner Reitschule, und rot-weiß gestreift auch das, wie die Plane, wie der Karussellsockel, wie das Karusselldach unterm goldenen Kränchen, Jean-Robert im Schilderhaus hat seine Lieben immer im Blick, und die Lieben, die auf seinen Lieben reiten, im Kreis zu zärtlichen Musettewalzern.
Bis den Vätern, den Müttern das Geld ausgeht oder die Geduld oder sie müde werden, bis sie ihre Kinder aus den Sattelträumen heben, bevor der nächste Walzer beginnt.
Vorzeiten hat Wassil Wassiljewitsch diese Musik geliebt, aber das ist lange her. Immer und immer im Kreis, mit so viel Kraft unterm Fell, das kann einen Tiger zum wilden Tier machen, im Kreis mit all der Sehnsucht nach Weite, nach sibirischen Wäldern, Taigasehnsucht, im Kreis, im Kreis, bis der Walzer, am Abend, ein letztes Mal aufschluchzt, bis er schlappmacht und sich feige zurückzieht, tief in den Lautsprecher kriecht, diesen lächerlichen Kasten aus Drähten und Blech, wohin er, Wassil Wassiljewitsch, einem Feind niemals folgen würde. Noch schweigt die Musik, aber er muss jetzt abspringen, endlich, denn gleich wird Jean-Robert im Bistro den unwiderruflich letzten Schluck seines Kaffees trinken, er wird aufstehen, und dann muss er, Wassil, die sieben Meter geschafft haben, ganz ohne Deckung bis hinüber zum Laden des blassen Chemisetteverkäufers, der früher so oft vor seine Tür trat, der seinen Hemden immer ähnlicher wurde, die noch jetzt auf einem Chromständer in der Sonne bleichen, Hemden mit zarten Karos oder Streifen oder einfach von einem verschossenen Grün. Der Tiger ist los, der Tiger ist los, könnte der Verkäufer in diesem Augenblick rufen, aber er zeigt sich nicht, wie schon in den letzten Tagen, und Wassil Wassiljewitsch hat es geschafft, er hat sich wirklich auf den Weg gemacht, er will wissen, wie es in den Straßen jenseits des Marktplatzes aussieht, Straßen, die sonstwohin führen und aus denen Menschen kommen zu einem Karussell, das sich im Kreis dreht.
Das liegt jetzt hinter ihm, und er sieht sich nicht um. Heller Tag ist, die Stunde der leichtfüßigen Demoiselles, die grazil übers Kopfsteinpflaster schweben, grüne Hüte und rotes Haar, nichts sonst, und es ist die Stunde der verhuschten grauen Gestalten, die keine Spur hinterlassen im Tag, für niemanden, grüne Demoiselles oder fremde Seligkeiten, oder eine verirrte Hoffnung, die Anschluss sucht, zäh wie die verblichenen Hemden des Chemisetteverkäufers, die ihren Platz in der Sonne nicht verlassen können. Lange schon hat der Herr der Hemden nicht mehr vor seinem Geschäft gestanden, die Straße hinauf, die Straße hinabblickend, vielleicht ist er ja tot, und es ist nur noch keiner gekommen, seinen Besitz in den Schatten zu tragen, den Laden zu schließen. Wassil, den Tiger, berührt das nicht, die Hemden machen keine Musik, spielen keine Walzer, sie können ihn nicht aufhalten, gelassen passiert er die schüchternen Winkversuche ihrer zartgestreiften Manschetten. Wie das fremdvertraute Wesen vor ihm, das rätselhafte, Bronzegesicht überm olivgrünen Kaftan, der ungebändigt sanft übers Pflaster schwingt, Pflaster aus Katzenköpfen, ein Geschöpf aus einem vergangenen Märchen, das vielleicht nur nicht stehenblieb, als jenes zu Ende ging, einfach weiterlief in dem jetzigen, in dem auch Wassil Wassiljewitsch unterwegs ist, fortzukommen hofft, beide übers Pflaster im Katzenschritt, das Bronzegeschöpf unbeirrt auf ein Ziel zu, das der Tiger nicht kennt, das schön sein muss.
Grell stürzt das Licht der Welt übers Dach der Markthalle auf den Platz, so grell, dass die Menschen ganz fahl aussehen, wenn sie aus schattigen Läden auf die flirrende Straße treten, fahl wie die Hemden des verblichenen Chemisetteverkäufers, wie Wassil, der Entsprungene, in der Erinnerung der Mittagssonne, dessen Fell nur am Abend aufflammt, nur am Abend und nur selten: wie die Hoffnung, dieses wilde Tier aus Pappmaché, Hoffnung, die Karussell fährt.
Und weiter unter klappernden Wasserspeiern, finstere Drachenköpfe ans Haus gefesselt bis ans Ende ihrer Tage, vorbei, vorbei, auch am Haus des Graveurs mit dem grandiosen Balkon, stummes Eisen zu musikalischen Schwüngen gebogen, vorbei, keine barmherzige Fee tritt an die prächtige Brüstung, um den Tiger willkommen zu heißen, hier, wo er vollkommen fremd, wo er vollkommen frei ist.
Vollkommen frei. Dreihundert Meter noch bis zu den drei Polizeiwagen am Straßenrand, der Wachkette in Uniform, bis dorthin also, nicht weiter, wird sein Glück reichen, sie werden ihn stellen, im Kreis wird sein künftiges Leben verlaufen, im Kreis zu zärtlichen Musettewalzern, mit der verblichenen Hoffnung unterm Fell, diesem Zittern, das er so teuer wie möglich verkaufen will, aber er weiß es, es sind zu viele, sie werden ihn fangen.
Unabwendbar, ohne Vorwarnung, treffen ihn die Gesänge. Ein Schmerz, der ihn anspringt und verwirrt, der sich langsam, ganz langsam wandelt zu einem pulsierenden Pochen, Hämmern, Klopfen, etwas, das ihm in den Hals steigt, das er nicht benennen kann. Wassil Wassiljewitsch weiß nicht, dass er dem Schlag seines eigenen Herzens zuhört, das soeben aufgewacht ist, geweckt von den Chorälen, die aus den Fenstern der Synagoge dringen, tief und klagend, aber nicht verloren, die Hoffnung selber klingt vielleicht so, wenn sie, bevor es endgültig zu spät ist, noch einmal ein Lied findet.
Ganz still steht er, der Verzauberte, kein einziges seiner Schnurrbarthaare zittert, wenn er Atem holt, in diesem Moment, dem Moment des Tigers, in dem er ganz deutlich spürt, dass er am Leben ist, lebendig und ausgeliefert an eine Schönheit jenseits der Musettewalzer, eine Schönheit von Gesängen, die er niemals vergessen wird. Vergessen, für den Augenblick, sind nur die Uniformen am Straßenrand, die Polizisten, auch wenn sie noch da sind, aber nicht bestellt, ihn zu fangen, es ist nichts, nur Sabbat, und die Synagoge arbeitet, und die Polizisten arbeiten, weil die Synagoge arbeitet, weil Sabbat ist, auch sie können, was man ihnen nicht ansieht, den Gesang hören, die Polizisten, die nicht bestellt sind, den Tiger zu fangen, alles ist, wie es sein soll, alles ist gut. Bis auf die schlechten Nachrichten vielleicht, die immer öfter, und auch aus anderen Städten kommen, in denen Synagogen stehen, aber was bedeuten schlechte Nachrichten, solange es gute Polizisten gibt, und überhaupt sind Nachrichten womöglich nicht viel mehr als Gerüchte, und was ist schon ein Gerücht: ein verlorenes Bonbonpapier, ein kurzes Rascheln in der Kehrmaschine.
Eventuell gerade in der, die jetzt um die Ecke biegt am Rand des Trottoirs, für Minuten ist nichts zu hören als das ruppige Kehrgeräusch, und es lässt, als es sich entfernt, auch nichts zurück, keine Papierschnipsel im Rinnstein, nicht einmal einen ausgespuckten Kaugummi, aber auch das Wunder der fremden Gesänge haben die rotierenden Bürsten, scheint es, mitgenommen, die Fenster der Synagoge schweigen, und schweigend steigen die Polizisten in ihre unauffälligen Wagen, die ohne Signal davonfahren.
Nur Wassil Wassiljewitsch steht noch und träumt, die allerletzte Strophe des letzten Chorals, er kann sie nicht zusammenbekommen, es hat keinen Sinn, sich länger in Geduld zu fassen, das Wunder wird sich nicht wiederholen, nicht sofort, er wird gehen müssen, heimkehren zu Jean-Robert, zu seinen Freunden, die auf ihn warten. Es ist Sabbat, und die Welt ist, wie sie ist, leichtfüßig läuft die Straße unter Wassil dahin, kaum dass er sie berührt, der Chor in der Synagoge hält nicht mehr Wacht, die Polizisten haben ausgesungen, Bonbonpapiere schwirren und grüne Hüte in der Luft, feurige Demoiselles und ein olivfarbener Kaftan, und finstere Drachenköpfe aus löchrigem Zinn bedeuten den Polizisten, nach Hause zu gehen. Und die Polizisten tun es, und Wassil tut es – der Tiger ist wieder an seinem Platz, und er wird es bleiben, anmutig dreht er sich im Kreis zu den betörenden Klängen des letzten Walzers, so ist das Leben, die Welt ist, wo sie ist, sie vergisst nichts, aber trägt alles, jedenfalls solange sie kann, schlechte Nachrichten und Gerüchte und Kehrmaschinen, die verblassten Hemden des Chemisetteverkäufers, alle verblichenen Hoffnungen, jedes noch so verschossene Grün, und erst recht trägt sie, es ist ja nicht schwer, das winzige Karussell mit dem verlorenen Sohn, Sabbat ist, und alles ist gut, er ist heimgekehrt, der Papiertiger mit der Taigasehnsucht, aber er wird sich erinnern, lange noch, an die fremden Straßen, das Katzenkopfpflaster, die schmiedeeisernen Schwünge im Balkongitter am Haus des Graveurs, und das Beste gehört ihm ohnedies für immer: er hat sie nicht wirklich verlassen, die klagenden, hoffnungsvoll gesungenen, ohne Hoffnung bewachten Choräle, sehr deutlich, als stünde er noch unter den Fenstern der Synagoge, kann er jede einzelne Strophe hören, nur die letzte nicht, und darunter als Rhythmus seinen Herzschlag – leise natürlich, denn sein Herz ist ja aus Pappmaché.
Und haben Sie sich den Namen Dzimbulla gemerkt? Jedenfalls ist diese Liebesgeschichte mit der Flaschenpost die Lektüre wert – wie auch alle 33 anderen Kurzgeschichten von Jan Flieger aus seinem Buch „Die ungewöhnliche Brautfahrt“.
Wer dagegen Spaß an fantastischen Geschichten hat, die sowohl eine philosophische auch eine erotische Seite haben, dürfte bei den Abenteuern der schönen Zeitreisenden von Hardy Manthey auf seine Kosten kommen.
Frankreich-Freunde sollten sich „VALSE MUSETTE. ROUEN en miniature“ von Helga Kaffke und Gabriele Berthel ansehen – und vielleicht zu Weihnachten verschenken. Es ist auch in einer Hardcover-Ausführung im Angebot. Es ist wie schon weiter oben gesagt ein Gesamtkunstwerk aus Bildern und Texten.
Viel Vergnügen beim Lesen, kommen Sie weiter gut durch den November, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst. In der nächsten Woche erscheint schon wieder der letzte Newsletter für den Monat November. Und der präsentiert unter anderem das Buch „Hoffnungen“ von Jürgen Ritschel. Darin erzählt der Autor von Jugendlichen der DDR, ihren Lebensauffassungen, Erwartungen und Hoffnungen. An der Schwelle vom Kindes- zum Erwachsenenalter stehen sie vor Entscheidungen, die für ihr weiteres Leben wichtig sind. Ein jeder wird gebraucht, jeder muss seinen Platz finden. Jeder hat seine Chance, aber auch seine Pflichten, und immer werden Lehrer, Eltern oder Vorgesetzte gefordert. Jürgen Ritschel erweist sich als ein guter Beobachter.